28. Juli 2024

Designing for Accessibility – Wie inklusive UI/UX allen nützt

Jörn Seidel
Designing for Accessibility – Wie inklusive UI/UX allen nützt

Barrierefreiheit in der digitalen Welt wird oft als Spezialthema betrachtet – dabei betrifft sie uns alle, jeden Tag. Ob mit temporären Einschränkungen, schlechten Lichtverhältnissen oder einfach auf einem kleinen Smartphone-Bildschirm: Gute, inklusive UX macht den Unterschied.

In diesem Artikel zeige ich, warum barrierefreies Design nicht nur eine Frage der Verantwortung ist, sondern auch echte Vorteile für Nutzer und Unternehmen bringt – und wie wir als Gestaltende direkt davon profitieren.

1. Barrierefreiheit als ethische, rechtliche und wirtschaftliche Grundlage

Barrierefreiheit ist weit mehr als ein “Nice-to-have”. Sie ist ethisch geboten, gesetzlich gefordert und wirtschaftlich klug. Jeder Mensch hat ein Recht auf Zugang zu digitalen Informationen und Services – egal, ob mit oder ohne Einschränkung. Gleichzeitig verpflichten Regelwerke wie die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) oder der europäische Accessibility Act zur Umsetzung barrierefreier Standards. Unternehmen, die hier aktiv werden, erschließen nicht nur neue Zielgruppen, sondern senden auch ein starkes Signal für Inklusion, Diversität und digitale Verantwortung.

2. Grundprinzipien barrierefreier UX – mit Praxisnutzen

Gutes UX-Design folgt klaren Prinzipien. Im Bereich der Barrierefreiheit sind besonders vier Aspekte entscheidend:

  • Farbkontrast: Texte sollten sich klar vom Hintergrund abheben. Ein Mindestkontrastverhältnis von 4.5:1 sorgt für gute Lesbarkeit. Tools wie Stark oder Colorable helfen bei der Analyse.
    Beispiel: Ein Online-Shop, der helle Schrift auf weißem Hintergrund verwendet, riskiert hohe Absprungraten. Mit verbessertem Kontrast (z. B. Dunkelblau auf Hellgrau) steigt die Conversion Rate messbar.
  • Tastaturnavigation: Alle Inhalte müssen ohne Maus erreichbar und bedienbar sein. Fokusrahmen dürfen nicht versteckt werden – sie sind essenziell für Orientierung.
    Beispiel: Eine Jobplattform, die Bewerbungen ohne Mausbedienung ermöglicht, ist auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen nutzbar – und erhöht damit die Reichweite für Unternehmen.
  • Alt-Texte: Bilder brauchen beschreibende Alternativtexte, besonders wenn sie Informationen oder Funktionen enthalten. Das hilft nicht nur Screenreader-Nutzenden, sondern verbessert auch die Indexierung durch Suchmaschinen.
    Beispiel: Ein Immobilienportal, das Alt-Texte für Grundrisse einfügt, wird nicht nur inklusiver, sondern auch besser in Google gefunden.
  • Responsives Design: Layouts müssen auf allen Geräten funktionieren. Lesbarkeit, Klickbarkeit und klare Struktur sind entscheidend für ein positives Nutzungserlebnis, egal ob auf Smartphone, Tablet oder Desktop.
    Beispiel: Eine barrierefreie Navigation mit großen Schaltflächen und ausreichend Abstand reduziert Fehlklicks und erhöht die Nutzerzufriedenheit.

3. Accessibility by Design – von Anfang an mitdenken

Barrierefreiheit darf kein nachträglicher Check sein. Sie beginnt im Konzept und zieht sich durch Wireframes, Design, Content und Entwicklung. Accessibility by Design bedeutet, frühzeitig Barrieren zu erkennen und zu beseitigen, bevor sie entstehen. Design-Tools wie Figma bieten Plugins für Kontrastprüfungen oder simulieren Farbsehstörungen. Entwickler wiederum nutzen WAVE, axe DevTools oder Google Lighthouse zur technischen Analyse. Wer Accessibility von Beginn an mitdenkt, spart später Aufwand, senkt die Fehlerquote und schafft langfristig nachhaltigere Produkte.

4. Best Practices aus der realen Welt

Ein Blick in die Praxis zeigt: Barrierefreiheit ist längst in der digitalen Strategie großer Unternehmen angekommen.

  • Microsoft lebt Accessibility als festen Bestandteil seiner Produktstrategie. Funktionen wie Farbfilter, Screenreader-Unterstützung, vergrößerbare Bedienelemente und Sprachsteuerung sind tief im Windows-System verankert. Die Barrierefreiheit ist hier kein Modul, sondern Grundvoraussetzung.
  • Airbnb hingegen zeigt, wie UX-Texte und Prozesse inklusiver gestaltet werden können. Die Plattform achtet bei Formulierungen auf gendergerechte und kultursensible Sprache, bietet barrierefreie Filteroptionen für Unterkünfte und reduziert kognitive Belastung durch klare Strukturen.

Diese Praxisbeispiele zeigen: Barrierefreiheit ist Innovationstreiber und UX-Booster zugleich.

5. Mehrwert für SEO, Nutzerbindung und Imagepflege

Barrierefreies Design bringt Vorteile, die weit über den eigentlichen Zweck hinausgehen:

  • Alt-Texte verbessern die Sichtbarkeit in Suchmaschinen
  • Klare Strukturen helfen nicht nur Screenreadern, sondern auch dem Google-Crawler
  • Intuitive Bedienbarkeit steigert die Nutzerzufriedenheit und senkt Absprungraten
  • Sichtbares Engagement für Inklusion wirkt positiv auf das Markenimage

Beispielhafter Effekt: Ein barrierefreies Redesign führte bei einem mittelständischen Dienstleister zu 18 % mehr organischem Traffic und einer um 25 % gesteigerten Verweildauer.

6. Fazit: Kleine Maßnahmen – große Wirkung

Barrierefreiheit ist kein Mehraufwand, sondern ein Mehrwert. Wer von Anfang an auf inklusive Gestaltung setzt, verbessert nicht nur das Leben einzelner Menschen, sondern schafft bessere digitale Produkte für alle. Und das ist nicht nur sozial, sondern auch strategisch klug. Kleine Veränderungen im Designprozess können große Wirkung entfalten. Es lohnt sich, sie mit Weitblick und Empathie zu denken.

Nützliche Tools und Ressourcen: